Die uralten Föhren, die 2013 auf einer Baustelle im Binzquartier gefunden wurden, halten, was sich die Forscher von ihnen versprachen: Sie lassen auf die Zeit nach der letzten Eiszeit schliessen.
Von Helene Arnet

Baumarchiv: Die Baumscheiben werden an der WSL sauber beschriftet und archiviert, denn Wissenschaftler von weitherum interessieren sich für diesen Fund. (Bild: Reto Oeschger)
Birmensdorf- Von dem Stapel aus lehmverschmierten Baumstrünken steigt ein angenehm harziger Geruch auf. Es riecht wie in einem stark besonnten Nadelwald. Obwohl dieser Geruch ganz und gar gegenwärtig ist, entstammt er der Mittelsteinzeit. Wir stehen in den Überresten eines uralten Waldes; diese Föhren wuchsen vor 13 400 Jahren. Es braucht viel, bis Ulf Büntgen das Wort «Sensationell» über die Lippen kommt. Büntgen ist Paläoklimatologe an der Eidgenössischeil Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) in Birmensdorf. Seine Begeisterung war zwar gross, als Kollege Daniel Nievergelt im letzten Frühling im Lehm einer Grossbausteile im Stadtzürcher Binzquartier F.hrenstrünke entdeckte, die, wie sich herausstellte, aus dem Ende der ·letzten Eiszeit stammen. Doch temperierte er allzu hochtrabende Erwartungen: Man müsse erst die ‘Resultate der Jahrringanalysenund Cl4-Messungen abwarten, bevor man wissenschaftlich fundierte Rückschlüsse ziehen dürfe. Nun sind solche Resultate da. Und sie sind laut Büntgen «sehr interessant». Für einmal macht die Quantität einen grossen Teil der Qualität aus: 256 Strünke wurden aus der Lehmschicht am Fusse des Uetlibergs geborgen, gut 200 hat das Jahrringlabor der WSL bereits gemessen. Die älteste dieser Föhren war 550 Jahre alt, als sie vom Schlamm zugedeckt wurde – ein .Methusalem im Vergleich zu heutigen Nachfahren. Nievergelt: «Das waren keine mickrigen Sträucher, die dem unwirtlichen Klima trotzten, sondern grosse, vitale Bäume.»
Was Büntgen und Nievergelt verblüfft, ist nicht nur das Alter dieser Bäume. Ihre Jahrringe weisen markante Übereinstimmungen auf, die aufunterschiedlich alte Gruppen, also Wälder, schliessen lassen. Diese decken eine Zeitspanne von 2000 Jahren nach der letzten Eiszeit ab. Wir haben es also nicht mit einem einzigen Wald zu tun, sondern mit mehreren Bewaldungsphasen. Wo liegt der Grund für dj.eses periodische Wachsen und Absterben? Ein plötzliches Ereignis wie ein Vulkanausbruch? Ein Erdbeben, das am Uetliberg eine Schlammlawine auslöste? Oder verlandete der Talboden nach der Gletscherschmelze, sodass der BinzwäJd im Schlick des Seeufers versank? Vielleicht findet sich die Antwort in einem Labor in Kopenhagen. Es ist darauf spezialisiert, DNA von verstorbenen Organismen zu bestimmen. Und bereits die ersten drei Holzproben, die dort untersucht wurden, waren Treffer. Alle enthielten tatsächlich noch DNA. Das übertreffe alle Erwartungen, sagt Büntgen. Um gleich wieder zu relativieren: «Wir brauchen zusätzliche Tests, um sicher zu sein, dass diese alte DNA nicht von Verunreinigungen stammt.» Stammt diese DNA tatsächlich von den Binzföhren, kommen weitere Spezialisten iQs Spiel. Einer von ihnen ist Felix Gugerli. Der Biologe arbeitet ebenfalls an der WSL. Eigentlich wollte er sich nicht weiter mit alter DNA beschäftigen, «doch dann kamen diese Binzhölzer – und erst noch in dieser Menge». Gugerli will mittels genetischer Untersuchungen herausfinden, woher diese Bäume nach der Eiszeit die Schweiz eroberten. Und ob der Wald über längere Zeit verkümmerte und wieder auflebte oder ob die Föhren nach dem Absterbenjeweils wieder neu von weiter her «einwanderten». Im ersten Fall würden die Hölzer ähnliches Erbgut aufweisen, im zweiten deutlich unterschiedliches. Solche Mutmassungen geben wiederum Klimatologen wie VIfBüntgen Stoff zum Nachdenken. Haben wir es mit unterschiedlichen Wäldern zu tun, weist das auf eine plötzlich eintretende Umweltkatastrophe hin. Stimmt aber die DNA der verschiedenen Holzgruppen überein, handelte es sich möglicherweise um eine langsam fortschreitende Umweltveränderung.
Die Binzhölzer geben noch einer weiteren Forschungsrichtung Schub: der C14- Datierung. Mit der Methode kann aufgrund der Konzentration des Radiokohlenstoffs C14 in organischem Material festgestellt werden, -wann ein Organismus abgestorben ist. An der ETH Zürich arbeitet ein internationales Forschungsteam auf diesem Gebiet. In diesem Labor wurde das Alter von Ötzi, des Turiner Grabtuchs oder des Bundesbriefs ermittelt. Und eben auch jenes der Binzhölzer. ETH-Chemiker Lukas Wacker sagt: «Diese Binzfunde sind von sehr grosser Bedeutung für uns, da sie in eine Zeit fallen, in der wir noch nicht sehr präzise Angaben machen können.» Für eine genaue C14-Datierung muss nämlich die C14-Konzentration in der Atmosphäre zu dem Zeitpunkt bekannt sein, in dem der Organismus abgestorben ist. Gerade in der spätglazialen Zeit der Binzhölzer aber klafft eine Lücke von rund 1000 Jahren, aus der keine Hölzer verfügbar sind, die eine Rekonstruktion dieser atmosphärischen C14-Konzentration zulassen. · · Gelänge es nun, diese Lücke in der Jahrringchronologie mithilfe der Binzhölzer zu schliessen, könnte auch der ungenügend geeichte Zeitstrahl der C14- Messungen verbessert werden. Was wiederum genauere Datierungen unzähliger Fundgegenstände erlauben würde. «Die Chancen dazu stehen sehr, sehr gut», sagt Wacker. Worauf Ulf Büntgen erwidert: «Das wäre sensationell.»
- Im Steinzeit Wald: Daniel Nievergelt ist auf Spurensuche in den Baumstrünken aus dem Ende der letzten Eiszeit. Sie liegen auf dem Gelände der WSL in Birmensdorf. (Bild: Reto Oeschger)
- Fundstelle in der Binz: Die Föhren versanken vor rund 14000 Jahren im Lehm, der von der Uetliberg-Flanke herunterrieselte. (Bild: Doris Fanconi)
- Forstarbeit auf der Baustelle: Noch auf der Baustelle sägten Daniel Nievergelt und sein Team Proben aus dem aussergewöhnlichen Fund. (Bild: Doris Fanconi)
- Schwere Brocken: Die Bäume wurden bei der Einsedimentierung etwas oberhalb des Strunkes geknickt. Die Wurzeln sind noch erstaunlich intakt. (Bild: PD)
- Ein Blick in die Vergangenheit: Ein Schnitz von der Borke bis ins Mark wird dabei helfen, das Alter des Baumes zu bestimmen. (Bild: Reto Oeschger)
- Jahrringe zählen: Die Anzahl Jahrringe verraten nicht nur das Alter eines Baumes, sondern auch, welche Bäume gleichzeitig standen. Mit einer C14-Messung kann zudem aufgezeigt werden, wann diese Bäume lebten. (Bild: Reto Oeschger)
- 550 Jahre alt: Eine Scheibe der ältesten Föhre des Steinzeit Waldes. Diese Bäume wurden damals um einiges älter als heute. (Bild: Reto Oeschger)