Trüffel wachsen, wo die Leute hintreten
Verschiedene Arten des Gourmetpilzes sind bei uns verbreiteter als bisher angenommen. Das zeigen erste Resultate einer Langzeitstudie aus dem Schweizer Mittelland und Süddeutschland.
Von Stefan Hartmann, Tages-Anzeiger, 27. September 2012
Trüffel kennen wir vor allem aus Frankreich und Italien. Aber auch in der Schweiz gibt es die Knollen – nur wissen das viele nicht. Foto: Bertold Steinhilber (Laif, Keystone)
Zwei Dinge hasst Lucy: Dauerregen und frühes Aufstehen. Beides bleibt dem Beagle an diesem Morgen nicht erspart, weil er im Wald bei Schlieren zur Trüffelsuche antraben muss. Aber die Hündin weiss: Wenn sie eine der schwarzen Knollen ausbuddelt, gibt es Guetsli zur Belohnung. Und diese muss Ulf Büntgen, Hundehalter und Wissenschaftler am Forschungsinstitut WSL in Birmensdorf, bereits zwei Minuten nach Beginn der Suche hervorholen. Lucy hat direkt auf dem Rastplatz am Waldrand einen Burgundertrüffel (Tuber aestivum) frei gescharrt. Ulf Büntgen hält die Hand an ihr Maul, denn Lucy, die Feinschmeckerin, verschmäht den leckeren Trüffel nicht. Das Loch deckt der Forscher wieder sorgfältig zu, sonst trocknet das feine Pilzgeflecht, das Myzel, aus. In zwei Stunden wird die Hündin auf den drei beieinanderliegenden Standorten, die für das Forschungsprojekt alle drei Wochen abgesucht werden, rund zwei Dutzend Trüffel erschnüffeln, deren Grösse zwischen Walnuss und Pfirsich schwankt. Im Juni hat Lucy an einem der Standorte 103 Exemplare gefunden.
Wer in unseren Breitengraden von Pilzen spricht, denkt kaum an Trüffel. In Deutschland gelten Trüffelarten als sehr selten, manche stehen sogar auf der nationalen Roten Liste. Obwohl in der historischen Literatur eine zeitweilige Existenz dieser Delikatessen beschrieben wird. Grundsätzlich waren Trüffel in unseren Breitengraden schon immer heimisch. Nur hat man sie bisher kaum wahrgenommen, weil sie unter dem Boden wachsen. Klimaforscher Ulf Büntgen und Mykologe Simon Egli von der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL in Birmensdorf haben deshalb zusammen mit Forschern der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg im Breisgau ein Langzeitmonitoing gestartet. Sie wollen die Verbreitung des Burgundertrüffels im Schweizer Mittelland und in Süddeutschland erforschen.
Eine erste Vorstudie, die kürzlich in der Fachzeitschrift «Fungal Ecology» erschienen ist, belegt für Trüffelfreunde Erfreuliches. Die Forscher konnten im Zeitraum von 2008 bis 2011 im süddeutschen Raum aufzeigen, dass Trüffel konstant das ganze Jahr über wachsen, auch unter dem Schnee. Eine Zäsur bildet lediglich der Frühling von April bis Juni, wenn Laubbäume und Laubsträucher – die Wirtspflanzen des Trüffels – den Zucker in ihren Wurzeln für das Wurzelwachstum und die Blattbildung selber benötigen. Als Mykorrhizapilze unterhalten die Trüffel mit ihrem Myzel eine enge Ernährungssymbiose vor allem mit den Feinwurzeln von Eiche, Buche oder Haselstrauch. Für die Studie waren Trüffelhunde an 116 von 121 ausgewählten Standorten fündig geworden: Der höchste Standort lag auf 950 Metern über Meer. Insgesamt konnten sieben Trüffelarten identifiziert werden; der Burgundertrüffel war dabei an allen Orten vertreten. Trüffel gedeihen nur auf kalkhaltigem Untergrund, auf Süsswassermolasse-Sedimenten und Jurakalk.
Schon hat Lucy wieder einen Pilz gefunden. Simon Egli und Ulf Büntgen packen diese je nach Standort in unterschiedliche Säcke. An der WSL wird der Reifegrad bestimmt und der Pilz gewogen, dann werden die Proben tiefgefroren und später molekularbiologisch untersucht. Der genetische Abdruck gibt Aufschluss über die Artzugehörigkeit und den Verwandtschaftsgrad der einzelnen Fruchtkörper. Von der Trüffelverbreitung am Alpennordhang wusste die Wissenschaft bisher wenig. «Über Trüffel in der Schweiz ist kaum etwas bekannt, da möchten wir mehr Klarheit haben», sagt Simon Egli. Zwar sei bereits in den 60er-Jahren vermutet worden, dass Trüffel punkto Biomasse im Mittelland viel verbreiteter sind als etwa Steinpilze. Dies konnte bislang mangels entsprechender Forschung nicht erhärtet werden. Das WSL hat Erfahrung in der Pilzforschung: Es hat im Kanton Freiburg während über 30 Jahren erstmals in Europa das Pilzverhalt
Die erstaunliche Verbreitung von Trüffeln nördlich der Alpen eröffnet ganz neue Möglichkeiten beim Anlegen von Trüffelkulturen. Bereits hat ein Bauer im Fricktal 70 mit Trüffel geimpfte Jungpflanzen verschiedener Baumarten gekauft, um eine kommerzielle Verwertung zu testen. Gourmets schätzen den Trüffel seines Aromas wegen; sein Preis ist allerdings hoch. Ein Kilo Burgundertrüffel kosten 600 Franken und mehr.